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Interview mit Sabine Thiesler

Interview

Sabine Thiesler im Gespräch

Sabine Thiesler Interview - neues Buch VersunkenSabine Thieslers neuer Roman „Versunken“ ist im September 2014 im Heyne Verlag erschienen.

Auf der Frankfurter Buchmesse 2014 hatte ich Gelegenheit mit der Bestseller-Autorin über sich und ihre Arbeit zu sprechen.

Besser für uns: Ihre Romane heben sich von anderen Thrillern ab, sie gehen viel auf die psychischen Faktoren, weniger auf die Fälle selbst ein.

Sabine Thiesler: Meine Bücher sind keine Ermittlungskrimis. Das bleibt mir zu sehr an der Oberfläche. Ein Ermittlungskrimi konzentriert sich darauf, Spuren zu verfolgen, um einen Fall zu lösen. Man weiß am Ende aber oft nicht, warum der Mörder zum Täter geworden ist.
Ich schreibe aus der Sicht des Mörders. Ich schaue ihm in den Kopf und will wissen wie er tickt. Es interessiert mich, wie und warum jemand kriminell wird. Wenn ich als Leser weiß, wie der Mörder denkt und funktioniert, bekomme ich Angst vor dem, was passieren kann. Meine Leser erfahren von den Tätern in meinem Büchern wahrscheinlich mehr Geheimnisse und Gedanken als von einem guten Freund.

Besser für uns: Ihre Bücher beinhalten viele psychologische Themen. Ist das etwas, das sie generell interessiert?

Sabine Thiesler: Das hat mich schon immer interessiert. Ich habe mit etwa 16 Jahren angefangen sämtliche Bücher von „Patrica Highsmith“ zu lesen. Die Art, wie sie Thriller geschrieben hat, hat mich sehr fasziniert, und von da an hat mich die Thriller-Leidenschaft nie mehr losgelassen. Die Frage, wie jemand dazu kommt zu morden, war von da an immer mein Thema. Und dazu habe ich jede verfügbare Literatur gelesen.

Besser für uns: Sie sagen selbst, dass sie sehr ängstlich sind.

Sabine Thiesler: Ja, das ist schon hart an der Grenze. Ich habe eine extrem kriminelle Phantasie. Wenn andere einen romantischen Hügel in der Toskana sehen, stelle ich mir vor, was dort Schreckliches geschehen könnte. Eine Blumenwiese ist für mich kein romantischer Ort, sondern ein Tatort. Und darum habe ich viel mehr Angst als andere.
Doch die Bücher helfen mir, mit der Angst umzugehen. Sie sind für mich eine Art Therapie.
Meine kriminelle Phantasie ist natürlich ein Segen für meine Arbeit, aber im Alltag kann das schon sehr belastend sein.

Besser für uns: Sind Sie dadurch sehr misstrauisch?

Sabine Thiesler: Ja, sehr. Nicht nur im Bezug auf Psychopathen oder Mörder. Ich habe auch tausend Ideen, wo man betrogen und über’s Ohr gehauen werden kann. In jedem Bereich denke ich so, das ist wirklich grässlich. Aber für meinen Beruf ist es natürlich toll.

Besser für uns: Wie kann man sich ihren Autoren-Alltag vorstellen? Haben Sie zig Ideen im Kopf? Machen Sie sich Notizen? Gibt es feste Arbeitszeiten?

Sabine Thiesler: Ich beginne nicht mit zig Ideen. Ich habe eine einzige Idee im Kopf. Wenn die so spannend ist, dass ich mich damit anderthalb Jahre beschäftigen möchte, dann fange ich an.
Notizen brauche ich nicht, die Geschichte kreist permanent in meinem Kopf, in der Dusche, beim Einkaufen, immerzu. Das klingt blöd, aber manchmal bin ich selbst gespannt, wie die Geschichte weitergeht. (lacht).
Vormittags komme ich nie zum Schreiben, da habe ich zu viel Bürokratie zu erledigen. Mittags machen wir eine große Mittagessen-Orgie, die dauert schon so 3 Stunden. Um 16 Uhr verschwinde ich meistens in meinem Schreibstübchen und schreibe bis etwa 22 Uhr.

Besser für uns: Ihre Protagonisten sitzen bei Ihnen quasi mit am Tisch, sind ständig präsent. Belastet das?

Sabine Thiesler: Nein. Ich finde die Figuren, die ich erfinde, selbst von Tag zu Tag spannender. Wenn ich anfange ein Buch zu schreiben, habe ich von den Personen nur eine vage Vorstellung. Die Figuren werden jeden Tag in meinem Kopf und am Computer komplexer. Am Ende weiß ich von den 15-20 Personen mehr als von meinen besten Freunden. Ich habe das Gefühl, hochinteressante Menschen kennengelernt zu haben, das bereichert mich.
Belastend sind manchmal die Situationen, die ich schreibe. Ich steige dermaßen in die Geschichte ein, dass es schon mal vorkommt, dass ich weinend am Computer sitze. Aber dann weiß ich, dass die Szene funktioniert.

Besser für uns: Sie lesen selbst sehr viel. Sind das hauptsächlich Thriller?

Sabine Thiesler: Das ist unterschiedlich. Es gibt Bücher, die inspirieren mich so sehr, dass ich sofort Lust bekomme, an meiner eigenen Geschichte weiterzuschreiben, selbst wenn es eine ganz andere Thematik ist. Es gibt aber auch solche, die mich runterziehen. Da habe ich dann gar keine Lust weiterzuschreiben. Oder der Stil ist so anders als meiner, dass ich befürchte, er könnte auf mich abfärben. Dann lasse ich das und höre auf zu lesen.

Besser für uns: Recherchieren Sie für Ihre Bücher?

Sabine Thiesler: Das kommt ganz darauf an. Ich recherchiere nicht gerne. Das hemmt mich. Ich kann dann nicht so in die Geschichte eintauchen und sie fließen lassen. Das ist auch der Grund, warum ich noch nie einen historischen Roman geschrieben habe.
In irgendeiner Form muss man natürlich schon immer mal recherchieren, aber das hält sich bei mir in Grenzen.
Ich schreibe vor allem über Themen, die ich sehr gut kenne.

Besser für uns: Meine Blogbeiträge lese und ändere ich mindestens 20 mal – wie geht das denn bei einem ganzen Buch?

Sabine Thiesler: Ich schreibe auch jeden Satz bestimmt 6 mal bis er mir gefällt. Und ich überarbeite jedes Buch 5 mal, bevor ich das Manuskript abgebe. Man fängt immer wieder von vorne an. Oft muss ich auch mal zurückschreiben, da ich am Anfang des Buches die Personen noch nicht so gut kannte.
Wenn ich ein Buch von 500 Seiten schreibe, dann waren es vorher bestimmt 2000. Es wird gekürzt, geändert, korrigiert, bis ich die Geschichte richtig finde. Das ist meine Arbeit. Phantasie läuft nicht nach Fahrplan.

Besser für uns: Machen Sie sich Notizen, was wo war? Sonst kann man ja später gar nicht so einfach zurückkorrigieren?

Sabine Thiesler: Ja, schon. Ich kann mir auch die vielen Namen nicht immer merken. Die hängen bei mir Zuhause am schwarzen Brett, damit ich weiß, wer, wie, wo, was, wie alt, weswegen, usw. Manchmal mache ich mir auch im Nachhinein ein Szenarium, wo was passiert ist, damit ich die Stellen leichter wieder finde. Aber immer im Nachhinein, nie im Voraus. Sonst würde ich meiner Phantasie nicht genügend Raum lassen.

Besser für uns: Gibt es Tage oder Wochen, wo Sie mal einfach nicht schreiben können?

Sabine Thiesler: Also Wochen nie. Es passiert mal, dass es 3 Tage hakt. Dann rede ich mit meinem Mann, der mir bei meiner Arbeit ein phantastischer Partner ist. Wir setzen uns hin, ertrinken im Rotwein und überlegen zusammen wie es weitergehen könnte.
Er ist auch derjenige, der immer wieder mein Manuskript liest und mit mir darüber spricht. Das ist sehr hilfreich. Er war Theater- und Film-Regisseur und denkt daher in Bildern. Wäre ich mit einem Zahnarzt verheiratet, würde das wohl nicht so funktionieren.
Wir sind seit 34 Jahren verheiratet, seit etwa 30 Jahren schreibe ich. In dieser Zeit hat nie eine Zeile das Haus verlassen, die er nicht gelesen hat. Ohne ihn ginge es nicht. Wenn ihm ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, schreibe ich vermutlich keine Zeile mehr.

Besser für uns: Nach bzw. vor einem Roman, braucht es da eine Auszeit oder geht das fließend?

Sabine Thiesler: Bis jetzt ging es immer fließend. Wenn ich länger als 1 Woche nicht schreibe, werde ich ganz kribbelig, dann bin ich auch kein glücklicher Mensch mehr. Ich brauche das für meinen inneren Frieden.
Während des Schreibprozesses denke ich schon mal, dass ich eine Pause machen sollte. Aber wenn ich das dann versuche, kann ich es gar nicht.
Nur wenn ich mich mit dem Anfang eines neuen Buches quäle… denn der Anfang ist furchtbar, bis es läuft. Die ersten 100 Seiten sind eine Katastrophe. In dieser Phase bin ich ganz schlecht drauf und denke schon mal: “ Ich schreibe kein Buch mehr. Ich mache jetzt mal ein Jahr Pause. Ich bin leer im Kopf. Jetzt ist alles gesagt…“. Und dann bekomme ich eine Existenzkrise.
Aber wenn es dann wieder läuft, liebe ich das Schreiben mehr als alles andere.

Besser für uns: Das nächste Buch ist also schon in Arbeit?

Sabine Thiesler: Natürlich! Das Manuskript für „Versunken“ habe ich ja schon im Januar abgegeben, erschienen ist es jetzt Mitte September. Das Buch braucht etwa ein dreiviertel Jahr im Verlag. In dieser Zeit fange ich ja schon was anderes an.
Ich denke, dass ich im Frühjahr das nächste Manuskript, das übrigens wieder in einem einsamen Landhaus in der Toskana spielt, abgeben kann. Wenn ich vorher nicht noch umziehe.

Besser für uns: Umziehen? In der Toskana?

Sabine Thiesler: Nein, ich will nach Deutschland zurück. Ich habe Heimweh nach Deutschland und nach meinen Freunden. Ich bin viel umgezogen in meinem Leben. Ich fand das immer hochspannend und die Toskana hat mich auch jahrelang fasziniert. Schreiben kann ich aber überall, und jetzt ist es irgendwie gut. Über die Toskana kann ich immer wieder schreiben, die ist fest in mir und meinen Gedanken und Gefühlen verwurzelt. Aber ich brauche einen Tapetenwechsel, das ist bereichernd für mich. So wie in „Stufen“ von Hermann Hesse („Wir sollen heiter Raum und Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen…“ ab hier zitiert sie das Gedicht). Das ist das Motto.

Besser für uns: Ein so tiefes Motto, dass Sie das direkt aufsagen können?

Sabine Thiesler: Ich bin ein Gedichte-Freak. Ich lerne oft Gedichte auswendig. Ich möchte sie parat haben. Außerdem trainiert das die Birne, das ist wie Sprachen lernen. Ich muss kein Sudoku machen als Gehirntraining, ich lerne lieber ein Gedicht.

Besser für uns: Gibt es zu ihren Büchern aktuelle Drehbuch-Verhandlungen?

Sabine Thiesler: Es gab zwar schon mal Gespräche, aber da wollte die Produktionsfirma meine Bücher derart verändern, das kam nicht in Frage. Es ist nicht ganz einfach, die psychologische Komplexität in einen 90-Minüter zu quetschen.
Ich hätte schon Interesse an einer Thiesler-Toskana-Reihe. Die Spannung psychologischer Thriller in Verbindung mit diesen herrlichen Bildern der Toscana ist ja eigentlich für Film und Fernsehen eine gelungene Kombination. Ich denke, der Tag wird kommen. Normalerweise schreibe ich keine Drehbücher mehr, aber diese würde ich wirklich gerne schreiben.

Besser für uns: Gibt es noch etwas, was Sie schon immer gerne mal in einem Interview loswerden wollten?

Sabine Thiesler: Lest, Leute, lest! Versinkt in fremden Welten, lasst Euch von den Gedanken anderer inspirieren und von deren Schicksalen berühren. Taucht ab, und das Leben wird leichter. Lesen ist immer eine Alternative. Ein Buch im Regal zu haben, das ich noch nicht kenne, tröstet mich.
„Mit jedem Buch, ob ernst, ob heiter, wird man ein kleines Stück gescheiter.“
In diesem Sinne, alles Liebe, Eure Sabine Thiesler

 

Vielen Dank an Sabine Thiesler für das super nette und interessante Gespräche, sowie an den Heyne Verlag, der dieses ermöglicht hat.

Infos zur Autorin:

Sabine Thiesler wurde 1957 in Berlin geboren. Nachdem sie Germanistik und Theaterwissenschaften studiert hat, besuchte sie die Fritz-Kirchhoff-Schauspielschule. Am Theater lernte sie ihren Ehemann, den Schauspieler und späteren Regisseur Klaus J. Rumpf kennen.
Sie schrieb u.a. Drehbücher für die Serien „Drei Damen vom Grill“, „Kein Rezept für die Liebe“,  „Polizeiruf 110“, „Der kleine Vampir“, „Traumschiff“ und „Tatort“.
Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrem Mann in Italien, wo sie ihre Psychothriller schrieb, die alle Spiegel-Bestseller wurden. Bereits erschienen sind:

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